Was sind Muskelerkrankungen

Unter Muskelkrankheiten versteht man alle neuromuskulären Erkrankungen. Nach einer Klassifikation von Sir John Walton gibt es 800 Formen. Der Volksmund nennt sie «Muskelschwund» und beschreibt damit ein wesentliches Krankheitszeichen, das bei diesen sehr unterschiedlich verlaufenden Erkrankungen auftritt.
Dieses Symptom kann auf wenige Muskelgruppen begrenzt bleiben, oder auch, je nach Erkrankungsform, die gesamte Muskulatur erfassen. Eine Reihe von Muskelerkrankungen kann sowohl im (früheren) Kindesalter als auch im (späteren) Erwachsenenalter auftreten.

Muskelkrankheiten führen zur Abnahme der Muskelmasse, zu Muskelschwäche, Lähmungen und/oder Muskelkrämpfen. Es gibt verschiedene Formen; die Mehrzahl ist fortschreitend und die meisten dieser Krankheiten sind nicht heilbar.

Die häufigsten bekannten Ursachen sind:

  • Veränderungen der Erbsubstanz
  • Störungen des Immunsystems (Abwehrsystem)

Neuromuskuläre Erkrankungen können sowohl im Kindesalter als auch im Erwachsenenalter auftreten. Viele Betroffene sind auf einen Rollstuhl und/oder andere Hilfsmittel angewiesen oder haben eine verkürzte Lebensdauer. Da es praktisch keine heilenden Behandlungsmöglichkeiten gibt, liegt der Schwerpunkt der Behandlung von Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen im körperlich-therapeutischen, aber auch im psycho-sozialen Bereich. So wird insbesondere dafür gesorgt, die Lebensumstände zu erleichtern und die Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten.

Oft werden fälschlicherweise die Multiple Sklerose (MS) und Muskelkrankeiten verwechselt. Es handelt sich jedoch um zwei völlig unterschiedliche Erkrankungen: MS ist eine primär entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bzw. der Nervenzellen. Weil die Schutzhülle der Nervenzellen zerstört wird, fehlt die Übertragung von Signalen und führt auf diese Weise ebenfalls zu Schwäche und Lähmungen der Muskulatur. Da die Entzündungen auf- und wieder abklingen, verläuft die MS in Schüben und nicht progressiv, wie die Muskelkrankheiten.

Kriterien zur Klassifizierung von Muskelkrankheiten

  • Die Symptome (Muskelatrophie, Spastiken, Lähmungen)
  • Der Erkrankungsbeginn (Kindesalter oder Erwachsenenalter)
  • Die Ursachen – erworbene (z.B. entzündliche Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen) oder vererbte, genetisch bedingte Muskelkrankheiten
  • Die Art der genetischen Vererbung

Weitere, detaillierte Informationen

Zuständig für die Diagnose einer Muskelkrankheit sind bei Kindern die Neuropädiater, bei Erwachsenen die Neurologen, unter Beibezug der Hausärzte. Zunächst wird eine ausführliche körperliche Untersuchung durchgeführt und dabei der internistische und neurologische Befund erhoben. Das ist wichtig, damit eine
Krankheit, die einer Muskelkrankheit ähnelt, aber in Wirklichkeit nichts mit ihr zu tun hat, nicht übersehen wird. Insbesondere wird die Muskulatur angeschaut und die Muskelkraft beurteilt. Es wird die Funktion der Gelenke geprüft, die Stellung der Wirbelsäule betrachtet, und nach Kontrakturen gesucht.

Eine notwendige Zusatzuntersuchung ist die Bestimmung des Muskelenzyms Kreatinkinase (CK) im Blut, welches bei erhöhter Konzentration auf eine Muskelschädigung hinweist. Mit Hilfe der Elektromyografie (EMG), bei der eine Nadelelektrode in den Muskel eingeführt wird, werden die elektrischen Eigenschaften der Muskelfasern überprüft. Damit kann auch in äusserlich noch gesund erscheinenden Muskeln eine beginnende Erkrankung festgestellt werden.

Oft wird dem Muskel auch eine Gewebeprobe entnommen (Muskelbiopsie). Erst die Betrachtung der Muskelfasern mit dem Licht- oder dem Elektronenmikroskop erlaubt eine genaue Bestimmung der vorliegenden Krankheit. Dabei werden auch histochemische Methoden (spezielle Färbetechniken) angewendet. Eine Muskelbiopsie ist dann unerlässlich, wenn klinisch keine spezifische Zuordnung zu einer Muskelkrankheit erfolgen kann und andere Krankheiten, ausgeschlossen werden müssen, insbesondere bei Entzündungen (Polymyositis) und Stoffwechselerkrankungen der Muskulatur (Speicherkrankheiten).
Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen gestatten ausserdem das Ausmass des Befalls eines Muskels zu beurteilen. Sie werden auch zur Bestimmung der verschiedenen Subformen der Muskeldystrophien eingesetzt. Falls der Verdacht auf eine Mitbetroffenheit des Herzens besteht, sind auch ein Ultraschall des Herzens (Echokardiogramm) und ein Elektrokardiogramm (EKG) nötig. Röntgenaufnahmen der Lunge und des Skeletts sind ebenfalls aufschlussreich.

Wie bereits in der Einführung erwähnt, sind nicht alle neuromuskulären Erkrankungen genetisch bedingt. Einige Krankheiten werden entzündlich ausgelöst oder treten sporadisch, bzw. isoliert auf. Aufgrund der Komplexität des Vererbungsschemas und auch der Vielfältigkeit der genetischen Muskelkrankheiten wird im Folgenden ein kurzer Überblick geliefert. Im Kern jeder einzelnen menschlichen Zelle (mit Ausnahme der Keimzellen) gibt es 23 Chromosomenpaare, also 46 Chromosomen insgesamt, davon sind zwei die Gonosomen: XY beim Mann und XX bei der Frau. Als Autosomen wird die Teilmenge der Chromosomen bezeichnet, die nicht zu den Gonosomen, den Geschlechtschromosomen gehören. Die restlichen 44 Chromosomen sind also Autosomen.

In jedem dieser 23 Paare wird ein Chromosom vom Vater, das andere von der Mutter vererbt. Die Gene sind auf den Chromosomen jedes Paares in entsprechender Positionsfolge angeordnet. Die einander entsprechenden Gene nennt man Allele (griech., gegenseitig, zueinander gehörig): diese bestimmen miteinander die charakteristischen Erbmerkmale eines Menschen. Eines der Allele kann oft einen grösseren Einfluss auf sein Erbmerkmal ausüben als sein entsprechendes Allel. In diesem Fall nennt man das Gen mit dem grösseren Einfluss dominant, das andere rezessiv.

Wenn ein rezessives Gen sich bei der Vererbung durchsetzen soll, ist es notwendig, dass auch das andere Gen in gleicher Weise verändert ist. Dieses Gesetz gilt für alle Merkmale, die durch eines der 22 von 23 Chromosomenpaaren übertragen werden. Bei dem genetischen Paar, welches auch das Geschlecht eines Individuums festlegt, ist die Situation anders, weil hier die Chromosomen unterschiedlich gross sind. Die
Chromosomen dieses ungleichen Paares werden mit den Symbolen X (weiblich) und Y (männlich) gekennzeichnet.

Beim weiblichen Geschlecht enthält jeder Zellkern zwei X-Chromosomen, eines vererbt von der Mutter und das andere vom Vater. Beim männlichen Geschlecht enthält jeder Zellkern nur ein X-Chromosom, vererbt von der Mutter, und ein kürzeres Y-Chromosom, vererbt vom Vater. Daraus resultieren insgesamt drei verschiedene Vererbungstypen bei Muskelkrankheiten, die im Folgenden kurz aufgelistet werden.

Bei der X-chromosomalen Vererbung liegt das betroffene Gen also auf einem Geschlechts-Chromosom. X-chromosomale Vererbungen können demnach ausschliesslich Jungen betreffen, weil das ergänzende Y-Chromosom keine Dominanzfunktion aufweist. Ein defektes X-Chromosom muss ausserdem von der Mutter stammen, weil vom Vater das Y-Chromosom stammt. Die Mütter sind also Trägerinnen dieser mutierten Gene. Ein Beispiel für diesen Vererbungstypus ist die Muskeldystrophie Duchenne.

Als «autosomal» werden entsprechend Vererbungen oder Erbgänge bezeichnet, bei denen das betroffene Gen oder die Genregion auf einem Autosom liegt. Beim autosomal rezessiven Typ kommt es nur dann zur Erkrankung, wenn das Gen auf dem vom Vater und auf dem von der Mutter vererbten Chromosom mutiert ist. Diese Krankheiten können sowohl Männer als auch Frauen betreffen. Ein Beispiel für diesen Vererbungstypus ist die Friedreich-Ataxie.

Es kommt schon dann zur Erkrankung, wenn das Gen von nur einem der Elternteile, entweder vom Vater oder von der Mutter, vererbten Chromosom mutiert ist. Ein Beispiel für diesen Vererbungstypus sind einige Formen der Spinalen Muskelatrophien.

Die genetische Beratung ist in den Fällen besonders wichtig, aber auch sehr schwierig, in denen sich eine dominant erbliche Muskelkrankheit erst lange Zeit nach Erreichen des Fortpflanzungsalters bemerkbar macht. Hier kann nur eine sorgfältige Analyse des Familienstammbaumes über mehrere Generationen Aufklärung bringen. Oft ist auch eine eingehende neurologische Untersuchung bei mehreren Familienangehörigen notwendig.

Wichtig ist, dass bei jedem Verdacht auf eine neuromuskuläre Erkrankung alle diagnostischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit bestehende Behandlungsmöglichkeiten genutzt werden können (siehe folgenden Abschnitt). Eine genaue Diagnosestellung ist meist nur in den Regionalen Neuromuskulären Zentren möglich, wie sie in den letzten Jahren an den schweizerischen Universitätskliniken Basel, Bern, St. Gallen, Zürich, Tessin, Lausanne und Genf aufgebaut wurden, um durch ein interdisziplinäres Netz von Fachpersonen optimale Betreuung und Behandlung von muskelkranken Menschen zu gewährleisten.

Erfolgversprechende medikamentöse Behandlungen gibt es lediglich bei einigen Myositiden, der Myasthenia Gravis und den endokrinen Myopathien. Bei den restlichen Muskelerkrankungen ist eine ursächliche Behandlung derzeit noch nicht möglich. Alle Erwartungen für die Zukunft richten sich an die Gentherapie. Ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung neuromuskulärer Erkrankungen ist eine konsequente symptomatische Behandlung. Diese beinhaltet unter anderem Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, teilweise auch in Kombination mit orthopädischen Massnahmen.

Das Ziel einer solchen Behandlung ist es, die Selbständigkeit und den Aktionsradius der Betroffenen so lange und so gut wie möglich zu erhalten. Die noch vorhandene Muskelkraft soll gestärkt werden, um gleichzeitig mit entsprechenden Bewegungen die betroffenen Muskelpartien zu schonen und Schmerzen zu lindern. Übungen im Bewegungsbad sind für viele Menschen mit einer neuromuskulären Erkrankung wohltuend. Sie stärken den Muskelapparat und ermöglichen mit dem Eintauchen ins Wasser Bewegungsabläufe, die im Trockenen nicht mehr ausführbar sind. Die dadurch gefühlte Leichtigkeit hat auch psychisch positive Auswirkungen. So kann die Lebensqualität von Betroffenen erheblich gesteigert werden.

Zur interdisziplinären Betreuung von Patienten mit einer neuromuskulären Erkrankung gehören viele verschiedene Therapie-, Pflege- und Beratungsmöglichkeiten, die für jedes Krankheitsbild und für jeden Patienten spezifisch zur optimalen Behandlung ausgearbeitet werden müssen. Diese medizinische Betreuung erfolgt durch eine Reihe verschiedener Fachdisziplinen wie der Neurologie, der Kardiologie, der
Pneumologie, der Orthopädie und der inneren Medizin.

Bei ausgeprägten Kontrakturen wird ein Spezialist prüfen müssen, ob operative Eingriffe notwendig sind. Im fortgeschrittenen Stadium muss überlegt werden, ob und welche Hilfsmittel für die Betroffenen in Betracht gezogen werden müssen (wie z.B. orthopädisches Schuhwerk, Schienen, Sitzschale, Korsett, Rollstuhl, Toilettenund Badehilfen, ein Treppenlift usf.). Für muskelkranke Menschen und ihre Angehörigen ist es ausserdem oft wichtig, über ihre Probleme, Sorgen und Ängste zu sprechen. Hier bietet die Muskelgesellschaft ein offenes Ohr und Unterstützung an.

Übersicht der Muskelkrankheiten

Im Folgenden werden die häufigsten Muskelkrankheiten gemäss obigem Schema kurz erläutert. Das Schema ist chronologisch strukturiert nach den Ursachen, die die Krankheit auslösen.

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